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Alte Tänze

Hier ein paar Auszüge aus dem Buch Kustfertigkeit im Eislaufen von Robert Holletschek.

Die alte Schreibweise habe ich nicht verändert um den Hauch des 19.Jahrhunderts nicht zu sehr zu verwehen ;-)

 

Kunstfertigkeit im Eislaufen von Robert Holletschek (Vorwort zu 3.Auflage)

Regelmäßige, ausgiebige, kräftige Bewegung in freier Luft ist eine unerläßliche Bedingung von Gesundheit und Wohl­ befinden und jeder rüstige Körper, ob jung, ob alt, ob männlich oder weiblich, hat das Bedürfnis und den Trieb danach. Dieser läßt sich im Sommer leicht befriedigen, wo uns alle Arten von Leibesübungen offen stehen, die durch ihre Mannigfaltigkeit auch bei oberflächlichem Betriebe das Bedürfnis nach Abwechslung befriedigen. Spätestens der erste Schneefall macht dieser Fülle ein Ende. Wenn wir vom Jagd- und Reitsport absehen, die auch im Winter noch in beschränktem Maße möglich sind, aber für weitere Kreise der Bevölkerung nicht in Betracht kommen, so ruhen alle Freiluftsporte des Sommers, denn wenn der Städter sich von seiner Arbeit erhebt, ist es dunkel, und die Wege sind schwer gangbar. Es beginnt die Zeit der hygienischen Sünden aller Art. Man sitzt den ganzen Tag und die Bewegung, die uns etwa der Ballsaal bietet, ist ein giftiger Ersatz der nervenstärkenden Muskelarbeit bei Tage und im Freien. Wenn dann der Frühling wieder ins Land kommt, so findet er ein verweichlichtes Geschlecht vor, das, weit entfernt, an dem Hochgefühl der wiedererwachenden Natur teilzunehmen, erst durch Schnupfen, Katarrhe und sonstige „Erkältungskrankheiten“ von den Sünden des Winters reingeputzt werden muß.

Für die vielen Freuden, die der Winter dem Freunde körperlicher Bewegung nimmt, reicht er ihm, karg wie er ist, nur eine einzige, wohl aber köstliche Gegengabe, den Eislauf.

Der Eislauf ist der volkstümlichste Sport in den nordischen Ländern schon seit alter Zeit; er wird es auch immer mehr in unseren Gegenden, nicht nur, weil er im Winter der einzige ist, den wir haben, sondern wegen seiner herrlichen Eigenschaften an sich. Er befreit uns von der Starrheit und Trägheit des Winters, den er uns vergessen macht, und ist von einem eigentümlich herben Reiz umflossen, der den Sommersporten fehlt. Er ist allen Geschlechtern und Altersstufen zugänglich; er schmeichelt dem Ältlichen und Bequemen durch die Leichtigkeit der Bewegung, die weit weniger ermüdet als das Gehen auf Winterwegen in schwerer Bekleidung; er lockt das junge Weib durch die beste Gelegenheit zur Entfaltung seines schönsten Reizes, der Anmut, und stellt anderseits dem rechten Sportjünger Aufgaben, die das Einsetzen aller körperlichen und geistigen Kraft verlangen.

Der freie und großartige Zug, der dem Eislauf auf den nordischen Meeren und Seen inmitten einer erhabenen Natur innewohnt, kann von dem Binnenländer selten oder nie gekostet werden. Dieser bleibt vielmehr an seine künstlichen, räumlich beschränkten Eisplätze gefesselt, die zwar größere Sicherheit und Bequemlichkeit bieten, auch infolge sorgfältiger Eispflege eine regelmäßigere Ausübung des Eislaufs gestatten als die meistens nur wenige Tage für den Schlittschuhläufer benützbaren Eisspiegel der Natur, dagegen aber dem Eislauf den Vorwurf der Einförmigkeit und Langweiligkeit bei längerem Betriebe eingetragen hat. An diesem Vorwurf ist aber einzig und allein nur die langweilige, unsportmäßige Art schuld, in welcher der Eislauf bisher noch auf den meisten Eisplätzen betrieben wird. Sehen wir uns einen derartigen Durchschnitts-Eislaufplatz an. Das Schlittschuhlaufen wird als Nebensache betrachtet. Man geht hin, um sich zu unterhalten, alte Bekanntschaften zu erneuern, neue anzuknüpfen, den Hof zu machen oder sich machen zu lassen, Musik zu hören, zu klatschen, zu kriteln usw. Unbehilfliche Herren schleppen noch unbehilflichere Damen bis ans Ende der Bahn, dort wird stillgestanden, die Nase geschneuzt und ausgeruht, bis der Frost wieder zur Bewegung zwingt, die am anderen Ende abermals mit Stillstehen und Nasenschneuzen unterbrochen wird. Andere leiern ihrer Gesundheit halber maschinenmäßig ihre Anzahl von Runden ab und sind froh, wenn sie fertig sind. Noch schrecklicher ist der Meister eines solchen Eisplatzes, der in allerlei unsinnigen Wendungen und rätselhaften Drehungen und Hopsern glänzt und auch Bewunderung findet, dem Kenner aber ein Grauen und Entsetzen ist. Zwischendurch wird die liebe Jugend durch sinnloses, tolles jagen die Kreuz und die Quer lästig und gefährlich.

Von einem solchen Treiben kann allerdings niemand Vergnügen und Nutzen haben.

Wer vom Eislaufe wahren Nutzen und unversiegbare Freude haben will, der betreibe ihn um seiner selbst willen und in sportmäßiger Weise.

Es ist das Empfinden der selbstlosen Lust an einer körperlichen Bewegung, was derselben den Inhalt des Sports verleiht. Je nachdem dasselbe geartet ist, zerfällt der Eislauf in zwei Teile. Der Schnellauf wurzelt in überschüssigem Kraftgefühl und gipfelt, wie auch der Dauerlauf, in dem echt sportmäßigen Wunsche, zu ergründen, was menschliche Kraft auf Schlittschuhen zu leisten imstande ist.

Beim Kunstlauf besteht das Empfinden der Lust in dem Anmutsreiz, der zur Nachahmung anspornt, und in dem eigentümlich: angenehmen Gemeingefühl des Körpers, welches durch das zwischen Ruhe und Bewegung gleichsam die Mitte haltende Gleiten mittels des Schlittschuhes auf dem Eise erzeugt wird, wobei die obwaltenden, sehr namhaften Gleichgewichtsschwierigkeiten nicht unangenehm, sondern in ihrer spielenden Überwindung entweder gar nicht oder geradezu angenehm empfunden werden. In den ersten Tagen der Fahrzeit, oder wenn man nach holperigem Eise wieder glattes bekommt, ist dieses Annehmlichkeitsgefühl besonders deutlich und steigert sich bei dem hierfür Empfänglichen zu hellem Entzücken.

Aus der Vereinigung dieses Reizes und dem Streben nach Vermannigfaltigung der gewonnenen Eindrücke ist der Kunstlauf entstanden. In der Tat ist sowohl der ästhetische Reiz auf den Zuschauer als das Genußgefühl für den Ausübenden bei jeder Figur ein ganz anderes. Wie verschieden in beiden Beziehungen sind z. B. Schlinge und Wechselwendung, Schlangenbogen und Rebe, Amerikaner und Pirouette usw. Das gibt einen ewig wechselnden Reiz ab auch für denjenigen, der nicht nach dem Kranze der höchsten Vollendung trachtet, sondern sich mit einem geringeren Maße von Errungenschaften begnügt. Aber auch der fleißigste, strebsamste und bestveranlagte Läufer kann im Laufe seines Lebens oder bis ihn das Alter überkommt, nicht alles erlernen, was auf dem Gebiete des Kunstlaufens möglich ist oder noch als ungelöst den Ehrgeiz reizt, so unerschöpflich ist die Fülle und so unendlich ist die Mannigfaltigkeit dieses Sports. Er ist nicht einförmig, sondern der abwechslungsreichste, den es überhaupt gibt, und alle Abwechslung schöpft er aus sich selbst. Man gebe dem Kunstläufer einen rings ummauerten Raum von 20 m im Geviert, und er wird sich darin vollkommen zufrieden fühlen den ganzen Winter hindurch. Findet ein solch edler Sportfreund Gleichgesinnte, so entsteht zwischen ihnen jenes feste, weder durch Ranges- und Standes-, noch durch Geschlechts- und Altersunterschiede beirrte treue Band echter Sportskameradschaft, das in unserer Zeit der auf Eigennutz beruhenden Verhältnisse in seiner selbstlosen Hingebung an die gemeinsame Sache so herzerquickend wirkt.

Es wäre hier wohl der Ort, auch etwas über die sittliche Bedeutung sportmäßiger Betriebe im allgemeinen und des Eislaufes im besonderen zu sagen, wenn dies nicht den Rahmen dieses Buches, das rein nützliche Zwecke verfolgt, überschreiten würde. Wir bitten aber Eltern und Erzieher, hierüber nachzudenken.

Darum: Lieben wir den Sport und dienen wir ihm, und wir werden seine Wohltaten genießen.

Troppau, Oktober 1890.   Der Verfasser.

Quelle: Kunstfertigkeit im Eislaufen von Robert Holletschek